31.08.2017
von Annette und Karl Heinz Virnich

Nun sind wir seit dreieinhalb Monaten unterwegs, und wir denken, es ist an der Zeit, mit einem kurzen Stimmungsbild aus dem Mittelmeer zu grüßen:

Ende April ging es planmäßig von Neustadt aus los und aller Anfang erwies sich als sprichwörtlich schwer. Zu Beginn der Reise gab es fünf Tage Zwangsaufenthalt in Cuxhaven wegen stürmischer Winde aus Nordost und es war ungewöhnlich kalt. Der Wind flaute ab, aber die Kälte blieb.
Die Lust auf lange Strecken war deshalb eher gering. So tasteten wir uns bei meist achterlichen Winden von 2 Bft in Tagesetappen mit einem Abstecher nach London zu zwei Drittel der Stecke mit Motor bis nach Falmouth, wo wir geeigneten Wind für die Biscaya abwarten wollten. Zum
Zeitpunkt unserer Ankunft verhieß uns der Wetterbericht eine voraussichtliche Wartezeit von über einer Woche, weil ständig kräftiger bis stürmischer Südwestwind für den nördlichen Teil der Biscaya in Aussicht gestellt war.

Groß war daher unsere Überraschung, als Wetterwelt schon nach unserer ersten Nacht in Falmouth ein viel angenehmeres Bild zeichnete: Nun sollten es noch mit 15 bis 20 kn aus West wehen, abschwächend leicht rechtsdrehend, so dass wir uns unverzüglich auf den Weg machten. Porto war
unser 610 SM entferntes Ziel. Endlich erlebten wir mal genussvolles Segeln, und der Motor wurde nur zweimal kurz zur Überwindung von Flauten in der Mitte der Biscaya und vor Porto bemüht.
In der Douro-Mündung gibt es eine neue, landschaftlich schön gelegene Marina, die an sich selbst den Anspruch erhebt, den freundlichsten Service aller europäischen Marinas bieten zu wollen. Uns hat man jedenfalls überzeugt, und so blieben wir eine ganze Woche lang mit dem Gefühl, endlich ein
lohnenswertes Ziel unserer Reise erreicht zu haben. Die historische Altstadt von Porto fanden wir auch bei unserem Besuch vor sechs Jahren wundervoll, aber doch ziemlich im Verfall begriffen. Nun waren alle Gebäude entlang des Douro-Ufers restauriert, und im Zentrum waren weitere Restaurierungen im Gange. Das interpretierten wir als ein deutliches Zeichen der Erholung Portugals aus der Wirtschaftskrise.

Wir hatten uns vorgenommen, das Mittelmeer nun in längeren Etappen von jeweils um die 150 SM zu erreichen. Von Porto segelten wir deshalb zunächst nach Cascais (um uns die Unruhe der Lissaboner Marinas zu ersparen) und weiter ging es dann nach Lagos. Wie schon vor sechs Jahren
erlebten wir auch dieses Mal nach Umrunden des Kaps Sao Vicente, dass ein eher moderater Nordwest Wind innerhalb von Sekunden plötzlich auf gute 9 Bft zunimmt. Nur waren wir diesmal gut darauf vorbereitet. Hohe Wellen konnten sich dicht unter Land nicht aufbauen, aber die fliegende Gischt machte den Aufenthalt am Ruder sehr ungemütlich. Von allen besuchten Häfen aus unternahmen wir lohnenswerte Landausflüge: Im Norden Portugals die historischen Städte Braga und Guimares, von Cascais aus Lissabon und Sintra und von Lagos besuchten wir Silves und Ferraguda. Bis Cascais gab es angenehme milde Temperaturen, aber ab Lagos wurde es zumindest
tagsüber tropisch heiß.

Bis Gibraltar waren es nun nur noch knappe 180 SM. Der Wind war schwach, aber als Halbwind noch gut segelbar. Nur 15 SM der ganzen Strecke musste der Motor helfen, damit Europas Südkap bei Tarifa noch mit 3 KN mitlaufendem Strom passiert werden konnte. Nun waren wir im Mittelmeer!
Wir meldeten uns per Email in der altstadtnahen Marina mit dem wohlklingenden Namen Ocean Village an, die sich aber als ziemlich marode herausgestellt hat. Dank überschaubarer Preise hatten sich aber auch etliche Motor- wie Segelyachten hier eingefunden, für die es vermutlich keinen nächsten Hafen mehr gibt. Gibraltar insgesamt hat uns ziemlich enttäuscht. Einerseits bietet die Stadt außer den Casematten und einem mittelalterlichen Fort keine besonderen Highlights, andererseits hatte man aber auch das Gefühl, dass sich die gesamte englische Unterschicht
hier versammelt hatte. Mehr als die Hälfte aller Touristen, glatzköpfige Männer wie Frauen waren ebenso großflächig wie aggressiv tätowiert, und je mehr Tattoos, desto dumpfer der Gesichtsausdruck und desto knapper die Muscelshirts. Durchaus sehenswert fanden wir den Ausflug auf den Affenfelsen, insbesondere wegen der spektakulären Taxifahrt auf den 450 m hohen Felsen hinauf, wobei die Affen eher sehr lästig waren.

Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, von Gibraltar bis Cartagena oder Alicante in einer Etappe durchzusegeln. Aber die regelmäßige Auswertung der Gribfiles von Wetterwelt oder Windy.com zeigten, dass sowas nur mit einem Motorboot sinnvoll machbar wäre. Täglich gab es jeweils nur ein
paar Stunden Wind, meist parallel zu Küste, mal ost- mal westwärts gerichtet, kaum thermisch abgelenkt oder verstärkt. Als Zwischenziele legten wir deshalb Benalmadena (bei Malaga), Marina del Este (bei Almunecar), Almerimar und Cartagena fest. Überall blieben wir ein paar Tage, um einen geeigneten Windhauch abzuwarten. Die ersten 15 SM nach Verlassen von Gibraltar genossen wir noch mal achterlichen Starkwind und dann war für lange Zeit Schluss. Gesegelt wurde immer, wenn ein Hauch von 1 bis 2 Bft eine Fahrt von mehr als 2,5 kn zuließ. Häufiger musste aber wieder der Motor vom Fleck helfen. Wohlwollend erkannten wir aber, dass im Mittelmeer anders als in den großen Ozeanen kein Wind auch keine Welle bedeutet.

Die Küste östlich von Gibraltar erlebten wir als einen Kulturschock: Von einem Horizont zum anderen unendliche Sandstrände, lückenlos bedeckt mit bunten Sonnenschirmen und dahinter eine geschlossene Kette von hässlichen Betonschachteln. Wie schön könnte Andalusiens Costa del Sol sein, wenn man nur den Ausblick auf die Sierra ungetrübt genießen könnte.
Benalmadena wird sehr gepriesen als eine architektonisch gelungene Marina umgeben von einem fantasievoll gestalteten Tourismuszentrum in orientalischer Kulisse. Pech hatten wir mit unseren Liegeplatznachbarn, zwei völlig überfüllte Charterboote rechts und links. Das eine war ein 12 m langer Katamaran mit vier ukrainischen Männern und acht ukrainischen Frauen als Crew. Das Verhalten dieser Leute und das ständige Kommen und Gehen der Frauen ließ bei uns einen gewissen
Verdacht aufkommen. Die Passagen in der orientalischen Kulisse und die Restaurants fanden wir ständig arg überfüllt und insbesondere wieder mehr als die Hälfte der Leute flächendeckend mit Tattoos verunstaltet. Ob die Leute wohl den Grund kennen, warum sich die Polynesier tätowierten? Wir jedenfalls fühlten uns bei dem Anblick der tätowierten und oft glatzköpfigen Zeitgenossen ähnlich erschreckt, wie sich die Feinde der Polynesier fühlen sollten.

Eine unerwartete Ausnahme in dieser Welt bildete die kleine Marina del Este in der Nähe des fast noch beschaulichen ehemaligen Fischerortes La Herradura. Die Sierra reicht hier bis unmittelbar ans Meer und es gibt nur ein paar kleine, fast versteckte Buchten mit Sandstränden. Die Marina bietet nur wenigen größeren Yachten Platz und ist durchaus von ein paar Hotels, Restaurants und Appartementhäusern umbaut, aber alles dezent, klein und in maurischem Stil gehalten. Die Marina liegt nicht zu weit entfernt von Granada. Wir mieteten also wieder ein Auto, um die wahren Sehenswürdigkeiten Andalusien zu besuchen. Das innere Andalusien war uns von früheren Reisen her zwar bestens bekannt, aber wir brauchten mal einen Kulissenwechsel. Als erstes besuchten wir die alte Stadt Guadix mit ihren vielen Höhlenwohnungen, deren weißen Schornsteine quasi
zufällig verstreut aus den Hügeln des Kalkgesteins ragen. Sowohl das Wandern durch die Wege zwischen den Höhlen als auch durch die Gassen der mittelalterlichen Stadt boten einen krassen Gegensatz zur Küste. Die Alhambra in Granada zu besichtigen hatten wir uns gespart, weil wir
diese früher schon dreimal bewundert hatten, ebenso wie Ronda, Sevilla, Cordoba und die Weißen Dörfer aus der Maurenzeit. Wohl aber durchstreiften wir den Albaicin und den Sacromonte, um so den Ausblick auf die Alhambra und den Generalife bewundern zu können. Trotz vieler Touristen hatten wir nicht den Eindruck einer Überfüllung, und oh Wunder, nirgendwo trafen wir auf Tätowierte. Zu viel Kultur für diese Klientel. Leider hatten wir bei unseren Ausflügen dort unter
Temperaturen von 43°C zu leiden, mehr als wir je in den Tropen erlebt hatten, und das ohne Wind.

Bis Almerimar zeigte sich die Küste von einer beinahe einsamen Seite. Die Felsen fielen steil ins Meer, es gab ein paar schöne, von Land schwer zugängliche Ankerbuchten mit kleinen Sandstränden die von wenigen kleinen spanischen Motorbooten besucht waren. Dieses beschauliche Bild änderte sich dann in Almerimar wieder drastisch. Eigentlich stellt Almerimar wohl nichts anderes dar als das
Touristenzentrum von Almeria. Die Marina ist sehr groß, aber sie war kaum zur Hälfte belegt, obwohl sie mit nur 26.- Euro für unser immerhin 17 m langes Schiff die billigste des ganzen Mittelmeeres ist. Drei Becken bilden die Marina, die alle dicht mit vielgeschossigen Appartementhäusern umbaut sind. Die Bauten stammten vielleicht aus den 90er Jahren, standen aber alle bis auf einen Block leer, obwohl Makler Finanzierungen von 120 % versprachen. Die meisten Restaurants waren verweist, ebenso die Ladengeschäfte. Dazwischen gab es verstreut ein paar Restaurants, die – wen wundert es – sich nur über vereinzelte Gäste freuen konnten. Die Marina Anlagen waren ungepflegt und insbesondere die Elektroinstallation gefährlich. Da freut es einen doch, wenn die schon älteren deutsche Nachbar von einem ebenso in die Jahre gekommen Motorboot vorbeischaut und uns an seiner Lebensplanung teilhaben lässt, nun endlich den Liegeplatz seines Lebens gefunden zu haben. Ein Blick durch die Marina zeigte uns dann die Kehrseite von billigen Liegeplätzen: Ein großer Teil der Yachten haben hier wahrscheinlich ihren Lebensabend gefunden. Immerhin erinnern wir uns nicht daran, Tätowierte gesehen zu haben, bis auf eine Gruppe nordeuropäischer Hells Angels mit ihren unglaublich lauten Choppern, die auf eine Karaokebar zu donnerten. Da kommt Endzeitstimmung auf.

Das war nun zumindest für unseren Skipper der Moment einer tiefen moralischen Krise. Ernsthaft hat er gemessen, gerechnet und überlegt, sich weitere Mittelmeererlebnisse zu ersparen und nötigenfalls unter Motor die Strecke von bis jetzt erst 130 SM nach Gibraltar zurückzueilen. Dann hätte man als erstes wieder Madeira und die Kanaren als Ziel vor Augen gehabt und sich über meist konstante Winde freuen dürfen. Natürlich war auch dem Skipper bewusst, dass das Mittelmeer nicht nur aus der Costa del Sal und der Costa Blanca besteht, aber alles überwiegend mit Motor? In der tiefsten Krise rief ein Freund an, ein Mittelmeerkenner, bei dem ich nun meine Enttäuschung abladen konnte. Er schwärmte von Mallorca und allem östlich davon. Das alles war uns sehr wohl auch bekannt; aber der Wind? Nun ergab es sich, dass die tägliche Kontrolle der Gribfiles am gleichen Abend zufällig für die nächsten 24 Stunden leichten aber segelbaren Halbwind für die 110 SM Seemeilen bis Cartagena versprachen. Das war nun ein aller Neugierde wertes Ziel, und von den 110 SM reichte der Wind bis auf die letzten 20 Meilen. Zwei kn Fahrt hätten uns ja gereicht, aber es gab nichts mehr. So tuckerten wir unter Motor im Leerlauf hatten im Wechsel noch unsere Nachtruhe und liefen nach dem Morgengrauen in eine der beiden sehr guten und immer noch nicht übertrieben teuren Marinas ein.

Cartagena erlebten wir anders als erwartet. Es gibt viele Ausgrabungen aus karthagischer Zeit, Reste wie ein Amphitheater aus der Römerzeit, imposante Festungsanlagen der spanischen Könige und viele interessante Museen. Das übrige Stadtbild ist geprägt von verspielten Fassaden des 19. Jahrhunderts, aber abseits der Hauptstraße findet man die meisten der ehemals prächtigen Fassaden als Ruinen vor. Immerhin sind zahlreiche dieser Fassaden nun Bauplätze, wobei man die Fassaden restauriert, dahinter aber alles neu baut. Auch in Cartagena sahen wir kaum Tätowierte, Wahrscheinlich leiden diese Menschen unter Kulturallergie.

Bis zur berühmten, zwischen Formentera und Ibiza gelegenen Ankerbucht Trokadera waren es 165 SM, die wir zwar meist gemächlich, aber fast vollständig unter Segeln zurücklegen konnten. Wir ahnten Schlimmes, aber die Bucht übertraf dann doch unsere Erwartungen. Zwar fanden wir
wegen der Größe der Bucht noch leicht einen Ankerplatz, der bei dem leichten Südostwind auch sehr sicher war, aber nie sahen wir mehr und größere Megayachten, nie mehr und lärmendere Waterjets und rasende Kleinboote, die ständig mit Imponiergehabe um die Ankerlieger herumbrausten, um zu zeigen, wie toll man ist. Schnell lernten wir die Mega- und Superyachten zu unterteilen in solche, die verchartert waren und solche, die von ihren Eignern bewohnt waren. Erstere haben es nötig, mit Lautstärke ihre Umgebung auf ihren scheinbaren Reichtum aufmerksam zu machen, letztere nicht.

Wir waren aber seit ein paar Tagen auch auf der Suche nach einem festen Liegeplatz auf Mallorca, von wo aus wir die Insel mit der Bahn und mit dem Auto erkunden wollten. Alle Marinas auf Formentera und Ibiza schlossen wir als Anlaufziel für unsere TOPAS aus, da es uns an Einsicht
fehlt, pro Nacht für eine kleine Wasserfläche mit 560,- € mehr bezahlen zu müssen als in einem Fünfsterne Hotel auf diesen Inseln. Nichts desto trotz wurde es Zeit, schon für die nächsten Tage eine feste Bleibe zu finden, denn es war ein stürmischer Nordwind angekündigt, der auch tatsächlich ein paar Tage später viel Bruch in unserer Ankerbucht erzeugt hat. Unsere schon früh begonnenen Bemühungen, per Email in einer von Mallorcas Marinas einen Platz zu finden blieben entweder unbeantwortet oder wurden abschlägig beschieden. Nun aber kannten wir jemand, der mit seiner Beneteau über einen festen Liegeplatz in Porto de Soller verfügt und uns fast emailwendend eine Reservierung für einen Liegeplatz dort vom 10. bis 30.08. beschaffen konnte. Allerdings war das Problem mit dem aufkommenden Schlechtwetter noch nicht gelöst. Zur Sicherheit wollten wir deshalb schon einen Tag vor dem Sturm in Porto de Soller sein. Wir segelten also mit einem Zwischenstopp an einem Ankerplatz an der Westseite Ibizas nach Porto de Soller und kamen dort drei Tage vor dem zugesagten Termin an. Wir waren aber nicht die einzigen, die vor dem Schlechtwetter in sichere Plätze und Buchten flüchten wollten. Über VHF riefen wir die Marina, bekamen dort auch mit viel Überredungskunst noch den letzten geeigneten freien Liegeplatz. Der Ankerplatz in der Bucht vor der Marina war hoffnungslos überfüllt, und als wir nach zwei Stunden Wartezeit zwischen den viel zu eng ankernden Yachten an unseren Liegeplatz gelotst wurden, fiel uns ein Stein der Erleichterung vom Herzen. Als der Schwell anderntags die Ankerbucht beutelte, haben manche Yachten schwojend und heftig schaukelnd miteinander Bekanntschaft gemacht.

Erleichtert waren wir nicht nur wegen des Gefühls der Sicherheit, sondern auch weil uns der Blick aus dem Cockpit auf den Talkessel der Bucht und den meist alten hangabwärts gebauten ehemaligen Stadtvillen zum ersten Mal seit Portugal das Gefühl gab, angekommen zu sein. Die Insel haben wir
zu Fuß und mit dem Auto zumindest im Bereich des Tramuntana Gebirges erkundet und meinen, zumindest hier im Norden ein Paradies gefunden zu haben. Viele sehenswerte Ziele auf der Insel haben wir inzwischen mit dem Auto erkundet. Faszinierende Orte wie Deia, Valldemosa, Fornalutx und sogar das Zentrum von Palma lassen verstehen, warum es so viele Menschen hierherzieht. Wenn nur nicht alles unter Überfüllung litte. Alle Plätze der Insel, deren Bezeichnung mit „Platja“ beginnt, haben wir gezielt ausgespart. Ab September wird dann wohl alles besser und auf Korsika, Sardinien, die italienische Westküste und Sizilien kann man sich dann für die Nachsaison freuen. Östlich von hier kann ja alles nur noch besser werden.

Viele Grüße

Annette und Karl Heinz Virnich